Mär 14, 2011

Höchstrisikowirtschaft mit Atomreaktoren


Naturschutz fordert Herunterfahren statt längeren Überbrückens

 

Stellungnahme zweier Physiker aus 1981 und 1986 nach wie vor sehr aktuell

Bremen / Wardenburg. Die Explosion am Meer und Kühlungsversuche mit Salzwasser in einem von 54 japanischen Atomkraftwerken (AKW), darunter bis zu 10 Blöcken im nahen Umkreis, auf stark erdbeben- und tsunami-gefährdeten Standorten lag im Bereich des Möglichen. Wer angesichts der Gefahr stärkerer Erdbeben an Japans Küste eine bauliche Toleranzgrenze von 7,9 (statt der eingetretenen Stufe 9 der Richter-Skala) vorgibt, handelt grob fahrlässig. Kommentatoren verglichen das mit einem ständigen "Tanz auf dem Vulkan", vor allem dann, wenn keine mobilen Notpumpen für die Kühlung der abgeschalteten Brennstäbe zur Verfügung stehen. Diese Situation entspricht dort aber dem langjährigen politischen Willen und den technischen Nachlässigkeiten - wie sie ähnlich auch hierzulande anzutreffen sind, man denke nur an die Messdaten zur radioaktiven Belastung der Atemluft und Lebensmittel nach Tschernobyl: deren Bekanntgabe wurde bundespolitisch untersagt und nur allgemein abgeraten, Pilze, Wildfleisch und innere Organe zu verzehren. Auch (Zug-)Vögel, Fische und alle anderen Organismen in den betroffenen Gebieten können Träger radioaktiver Strahlung sein. Während der Katastrophe in Japan appelliert der japanische Regierungspräsident lediglich "vorsichtig und wachsam" zu sein, ohne dass er die ersten Tage eindeutige Angaben zum schweren Unfall des AKW Fukushima machen konnte.

Wer die Folgen von Tschernobyl vor fast genau 25 Jahren (am 26. 04. 1986) herunter spielt, auch genetisch-medizinische Gefährdungen sowie die von Anfang an ungelöste Frage der Endlagerung des strahlenden Atommülls ignoriert, nimmt eine unsichere Zukunft solcher Anlagen mitsamt der betroffenen Bevölkerung in Kauf. Denn im Unterschied zu einem Kohlekraftwerk ist die Havarie eines AKW (Brände von Bau- und Steuerungssegmenten, Wasserstoffexplosion des Mantels, teilweise-/völlige Kernschmelze bis zum Super-/ GAU) kein lokales Ereignis, sondern hat wegen der radioaktiven Verseuchung eine regionale oder kontinentale bis globale Dimension.

Bekanntlich sind Katastrophen geeignet, aus Fehlern zu lernen und es anders zu machen. Noch lange nach Tschernobyl wurde im AKW Lingen (Emsland / Niedersachsen) die mit einem Güterzug aus dem bayerischen Rosenheim herangefahrene radioaktiv verseuchte Molke aufgearbeitet, die niemand haben wollte. Politik und Atomwirtschaft scheint das mehrheitlich weniger zu beeindrucken, sieht man wie in Schweden, Finnland, Brasilien, Japan, China, Russland und anderswo trotz Harrisburg (1979) und Tschernobyl in bester Gläubigkeit an eine pannen-arme Atomtechnik neu gebaut oder hierzulande die Laufzeit alter Atommeiler um 10 Jahre und mehr verlängert wird.

Oft wird gefragt, wann durch wen auf Atomtechnik gesetzt worden ist. In den 1960er Jahren gab es unter dem damaligen Bundesforschungsminister Dr. Gerhard Stoltenberg drei Forschungsschwerpunkte, die gemeinsam mit Hochschulen und Industrie vorangebracht werden sollten: die Meeresforschung, die Weltraumforschung und die Förderung der Atom- / Kernfusionsforschung. Die Physik hatte -wie in Ost-Europa bis heute- zur Zeit von Prof. Otto Hahn sowie der Waffen- und Raketentechnik eine immer noch herausgehobene Position, mit der die Biowissenschaften bezüglich der politischen Einschätzung und Förderung nicht konkurrieren konnten. Daran beteiligt waren und sind hoch subventionierte Großforschungseinrichtungen wie die Kernforschungszentren in Jülich und Karlsruhe, aber auch -auf dem Gebiet der Grundlagenforschung - das Deutsche Elektronen Synchroton (DESY) in Hamburg. Jülich hat sein Arbeitsgebiet stark anwendungsorientiert, auch in die Ökologie hinein, umgestellt.

Die Vertreter alternativer Energien kämpften noch bis in die achtziger Jahre hinein gegen die verbreitete Auffassung, dass sie utopischen Zielen nacheiferten und niemals in der Fläche würden hinreichende Strommengen produzieren können - im Gegenteil: Windenergieanlagen sollten noch nicht einmal in der Lage sein, während ihrer Laufzeit die für die Herstellung aufgewendete Energie aufzubringen. Niemand hätte damals für möglich gehalten, dass zur Zeit schon 17 Prozent des Stroms mit wachsender Tendenz alternativ erzeugt werden (zum Vergleich: 22% Atomstromanteil)! Andererseits können die Reaktoren bei Niedrigwasser, hochsommerlicher Wärme und Reparaturphasen tage- bis wochenlang nur vermindert oder gar nicht Strom erzeugen, was die "Grundlast" relativiert.

Heute wissen wir - dass die Atomkerntechnik ebenfalls rohstoffabhängig, also endlich ist, nicht CO2-frei arbeitet, verfahrens- und mülltechnisch letztlich nicht beherrschbar ist und beschleunigt abgelöst werden sollte durch einen den ökologischen Belangen der verschiedenen Standorte angepassten Mix von Anlagen zur Gewinnung alternativer Energien (wie Strom, Gas oder Wärme aus Wind- und Wasserkraft, Erdwärme, Solarenergie, Biologischer Vergärung / Biogas, Kraft-Wärme-Kopplung), auch in Verbindung mit Techniken zur Einsparung von Kraftstoffen und Strom sowie zur Isolierung von Gebäuden gegen Wärme-Abstrahlung. Dass neue Fernsehgeräte immer noch einen Standby-Betrieb haben, der nicht automatisch abschaltet, auch Millionen elektrischer Geräte keinen Aus-Schalter gegen Blindströme aufweisen, ist angesichts der Energieprobleme politisches Versagen. Würden diese Stromverluste durch kleine technische Ein- und Nachbauten vermieden, da gesetzlich vorgeschrieben, wäre schon ein mittelgroßer Atomreaktor verzichtbar.

In Deutschland gibt es sieben ältere, stark nachrüstungsbedürftige Reaktoren, deren Abstellung auch von Energieexperten gefordert wird, zum Beispiel in Neckarwestheim und Philippsburg oder die potentiell sturmflutgefährdeten Reaktoren Brunsbüttel (Unterelbe) und Esenshamm (Unterweser). Das Jahrhundert-Nachsorgemanagement des mehr einer ungeordneten Deponie gleichenden Zwischenlagers Asse (Niedersachsen), Morsleben (Sachsen-Anhalt) sowie in Lubmin (Ostsee / Mecklenburg-Vorpommern) ist aufwändig fortzusetzen. Deutschlandweit, im Norden wie im Süden, sind geeignete Standorte für die Endlagerung - auch im felsigen Untergrund (siehe Schweiz)- zu suchen. Wackersdorf (Bayern) hat sich schon einmal erfolgreich dagegen gewehrt. Da steht also nicht nur Gorleben (Niedersachsen) in der Diskussion. Werden die Milliarden Steuermittel für die Atomenergieförderung und diese sehr umfangreichen Nachsorgemaßnahmen für viele Generationen nach uns und Erkundungen auf den kWh-Preis für Atomstrom übertragen, wird schnell klar, dass der mehrfach höher liegen müsste.

Die Produktion von elektrischer Energie kann nach Expertenmeinung durch andere (Nicht-Atom-) Anlagen übernommen werden. Die Laufzeitverlängerung der Atomreaktoren um Jahrzehnt/e als "Brückentechnologie" ist nach Ansicht des NaturschutzForums Deutschland (NaFor) und der Biologischen Schutzgemeinschaft (BSH) zu lang und mit Blick auf die sehr hohen Risiken, zumal in dicht besiedelten Gebieten, nicht vertretbar, denn die Technik ist nicht fehlertolerant. Mit dem Älterwerden der Anlagen und der allgegenwärtigen Flugzeugabsturz- und Sabotagegefahr ist der Betrieb von Atomreaktoren hinsichtlich der Sicherheit und Gesundhaltung der Bevölkerung ohnehin nicht zu vereinbaren.

Wer den Schutz der Bevölkerung betont, sollte zumindest die alten Anlagen mit der Gefahr zu häufiger auftretenden Haarrissen und undichten Schweißnähten in den Leitungssystemen vom Netz und die Laufzeitverlängerung sofort zurücknehmen. Die Meiler der jüngsten Baujahre würden die möglichst kurze Brücke zum Zeitalter der Alternativenergien hinreichend stellen, sofern diese -in einer Abschaltphase- mit der notwendigen Sicherheitsausrüstung nach dem neuesten Stand der Technik versehen würden - vorausgesetzt, die Energieversorungsunternehmen sehen darin noch wirtschaftlich zumutbare Auflagen. Als Exportland für Strom besteht in Deutschland kein Mangel an elektrischer Energie und das Defizit wäre somit kompensierbar. Allerdings sind auch die moderneren deutschen AKWs gegen den Absturz eines schweren Flugzeugs oder den Beschuss durch konventionelle Sprenggranaten nicht ausgelegt.

Hinzu kommt, dass in der deutschen Bevölkerung kaum jemand auf ein AKW-Unglück sofort angemessen reagieren kann - für Mundschutz, Kaliumjodid-Flüssigkeit oder Jod-Tabletten zum ersten Schutz der Schilddrüsen gegen das ausströmende radioaktive Jod 131 (und 129), allgemein auch gegen das radioaktive Caesium 137 (134) und Strontium 90, ist in den Haushalten nicht gesorgt. Auch sollten politische Entscheidungen wie die gerade neu aufgelegte Förderung der Atomtechnologie im Exportgeschäft durch Hermes-Bürgschaften des Bundes zurückgenommen werden.

Die obigen Ausführungen enthalten in den Grundaussagen keine neuen Erkenntnisse. Schon 1981, also vor genau 30 Jahren, beschrieb der Atomphysiker Dr. Helmut Jäger solche Überlegungen in einem Merkblatt für Schulen und Öffentlichkeit mit dem Titel:
„Die zwei Gesichter der Atomkerntechnik“. Der Text ist aktuell und hätte auch in diesen Tagen geschrieben sein können. Er kann hier aufgerufen werden.

Ein weiteres Merkblatt zu dem Thema: "Die Kernspaltung hat alles verändert" finden Sie hier.


Remmer Akkermann


Kategorie: General
Erstellt von: BSH
...

'BSH-Merkblatt '"Amphibien"
(März 2004)

Honigbienen sind eine Faszination
(03. Februar 2004)

Erstes Hunte-Symposium zum Hochwasserschutz am 6. November 2003
(23. Oktober 2003)

Informationsblatt zu Fließgewässern des Westharzes erschienen
(23. Oktober 2003)

Auerochse und Waldtarpan kehren zurück
(03. September 2003)

Tiere nicht füttern BSH warnt vor falscher Tierliebe
(08. August 2003)

Biologische Schutzgemeinschaft prämiert Umschülerin
(07. Juli 2003)

Hochwasserflächen freihalten und erweitern
(07. Juli 2003)
BSH/NVN Merkblatt erschienen: Ökologie in kleinen Gärten
(07. Mai 2003)

Büffelhaltung hat sich nicht bewährt
(11. März 2003)

BSH-Merkblatt über den Regenwurm erschienen
(21. Februar 2003)

Interview: Massentierprodukte verringern das Einkommen der Bauern
(Interview vom 11. Februar 2003)
Geld und Energie sparen - mit einfachen Mitteln
(04. Fabruar 2003)

Weihnachtsbäume richtig entsorgen
(03. Januar 2003)

BSH-Merkblatt über die Beeke erschienen
(22. November 2002)

Was tun, wenn sich Stall an Stall reiht?
(02. November 2002)

Noch ein Putenstall in Garrrel!
(08. Oktober 2002)

Storchenstation gesellschaftlicher Auftrag
(19. September 2002)

Gewässerunterhaltung noch immer zu massiv
(13. Juni 2002)

Sanieren statt Abholzen
(23. Mai 2002)
BSH im Handbuch für Naturschutz und Landschaftspflege eingetragen!
(04. Mai 2003)
Runder Tisch Naturschutz ist voller Erfolg
(26. September 2002)

Renaturierung der oberen Hunte für den Hochwasserschutz
(24. August 2002)
Überschwemmungen auf kanalisierte und betonierte Landschaft zurückzuführen
(08. August 2002)

Broschüre stellt Streuobstwiesen der BSH vor
(18. Juli 2002)

Jahresmitgliederversammlung im Neuenburger Urwald verabschiedet drei Resolutionen
(04. Juni 2002)

Stroh – heute nur noch ein unbrauchbares Abfallprodukt?
(21. Mai 2002)

Biokraftwerk Bissel: Bedenken gegen Standort und Funktionssicherheit
(19. April 2002)

Lebensraum Hochmoor - eingetütet und eingetopft
(19. April 2002)

Frühblüher bringen frische Farbe und Futter in winterkahle Landschaften
(05. April 2002)

Schornsteine beliebte Nistplätze von Dohlen
(20. März 2002)

Verursacher wird belohnt
(22. Februar 2002)

Christbäume ungeeignetes Zuhause für Igel
(18. Januar 2002)

Top-Qualität aus der Natur: Region entwickeln, nicht vermarkten
(15. Januar 2002)

Kahlschlagmethoden an der Autobahn
(04. Dezember 2001)

Kleine Fische ganz groß!“
(14. Dezember 2001)

Kormorane weiterhin Teil unserer Gewässerlandschaften!
(08. November 2001)

Saft trinken für den Schutz von Steinkauz und Co
(01. November 2001)

Interwiev zum Thema: Neue Vereinbarung zur Gülle-Verteilung 
(NWZ vom 05. Oktober 2001)

Tiere und Pflanzen brauchen mehr Flächen als das Land ihnen zugesteht
(20. August 2001)

Diskussionspapier der BSH-Kreisgruppe Großenkneten-Ahlhorn
(12. März 2001)
Ende des Bauprivilegs von Tierställen notwendig
(12. März 2001)

300. Mitarbeiter bei der BSH 
(19. September 2000)

Bohmter Runde: Gespräche zur Oberen Hunte 
(26. September 2000)

Naturnahe Gewässerunterhaltung auch an der Küste notwendig
(27.August 2000)

Blühende Straßenränder durch extensive Pflege 
(Juli 2000)
Ausgewogenheit zwischen Fischen und ihren Feinden notwendig
(07. März 2000)


© Copyright 2010 - 2021 - Biologische Schutzgemeinschaft Hunte Weser-Ems e.V. (BSH)
BSH-Spendenkonto zugunsten bedrohter Pflanzen und Tiere: LzO, IBAN: DE92 2805 0100 0000 4430 44 BIC: SLZODE22XXX

- Impressum -